Zu keinem Zeitpunkt gab es den geringsten Zweifel daran, dass Abdel Fattah al-Sisi zum neuen Präsidenten gewählt werden würde. Schon seit Monaten war seine Wahl zum neuen starken Mann am Nil eine abgemachte Sache. Mit dieser Wahl ist nun die Phase der Restauration nach den Aufständen des Jahres 2011 abgeschlossen. Das Land befindet sich politisch wieder dort, wo es schon unter Mubarak stand: Es ist eine Militärdiktatur; nur der Name des führenden Generals hat gewechselt. In den vergangenen 62 Jahren, seit dem Putsch der „Freien Offiziere“ am 23. Juli 1952, wurde das Land bis
auf die einjährige Präsidentschaft Mohammed Mursis (30. Juni 2012 – 3. Juli 2013) stets von einem Militär geführt. Allerdings ist zu vermuten, dass al-Sisi mit dem Ergebnis der Wahl – insbesondere mit der niedrigen Wahlbeteiligung – nicht zufrieden ist. Trotz einer Verlängerung der Wahl um einen Tag, gingen nach offiziellen Meldungen nur 44,4% der Wählerinnen und Wähler zu den Urnen – die tatsächliche Beteiligung dürfte noch darunter gelegen haben. Der Aufruf zum Wahlboykott durch die Muslimbrüder, unterstützt durch entsprechende Fatwas, scheint letztlich ebenso gefruchtet zu haben wie die Einsicht, dass es bei dieser Wahl nichts zu entscheiden gab. Aber beginnen wir von vorne: Als im Januar 2011 nach Tunesien auch in Ägypten Proteste gegen die Diktatur aufflammten, waren alle politischen Beobachter hoffnungsvoll. Der Begriff des Arabischen Frühlings war in aller Munde. Die Proteste gegen Mubarak wurden anfangs von der Bewegung des 6. April getragen, einer säkular eingestellten Gruppe, die für einen demokratischen Rechtsstaat kämpfte. Die Muslimbruderschaft verhielt sich zunächst abwartend, sie war von den Massenprotesten offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt worden. Erst nachdem sich das Militär von Mubarak abwandte und seine Neutralität erklärte, schlossen sich die Muslimbrüder den Protesten an. Die politische Berichterstattung zu Ägypten war von Anfang an mehr vom Wunsch geprägt, die Arabischen Staaten mögen sich in Demokratien nach westlichem Vorbild verwandeln, als von einer sachlichen Analyse der Fakten. So wurde die Rolle des Militärs als eigentlicher Machtfaktor in der ägyptischen Politik kaum kritisch beleuchtet. Stattdessen wurde die Umarmung zwischen Militär und Demonstranten auf dem Tahir Platz in Jubelmeldungen gegossen. Von Wunschdenken beseelt war auch die Berichterstattung über die Muslimbruderschaft. Kaum ein Kommentar zur Lage, in dem nicht erwähnt wurde, die Muslimbrüder hätten der Gewalt und der Idee eines islamischen Staates abgeschworen, seien moderat und demokratisch geworden. Belege für diese Behauptungen gab es freilich nicht und der Irrtum wurde bereits nach den ersten freien Wahlen offenbar, aus denen die Muslimbruderschaft als Sieger hervorging. Gemeinsam mit den nun ebenfalls stark im Parlament vertretenen Salafisten nutzten sie die Mehrheitsverhältnisse, peitschten eine Verfassung durch, die die Scharia zur Grundlage der Gesetzgebung erklärte und schickten sich an, das Land nach ihren religiösen Vorstellungen umzugestalten. (Zur Verfassung siehe hier.) Dass sie mit ihrem Projekt eines islamischen Staates scheiterten, verdankt sich vor allem der politischen Ungeduld Mursis, der sich dazu verleiteten ließ, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen: Gegen die säkulare Opposition, die sich gegen den Versuch, eine religiöse Diktatur zu errichten, wehrte, und gegen das Militär, dessen Macht Mursi einschränken wollte. Als in dieser Situation erneut Massenproteste gegen die Regierung losbrachen, wechselte das Militär abermals die Seite. Es stellte sich selbst an die Spitze der Bewegung, jagte Mursi im Juli 2013 aus dem Amt und warf ihn ins Gefängnis – ein Vorgang, der gemeinhin als Putsch bezeichnet wird. In diesem Machtkampf hatte die säkulare Opposition kaum eine Chance. Es ist unbestreitbar, dass die Muslimbrüder demokratisch gewählt wurden, aber es ist ebenso unbestreitbar, dass sie keine demokratische Bewegung sind. Ihr Ziel war nie ein demokratischer Rechtsstaat, sondern eine auf religiösen Regeln basierende Gesellschaftsordnung, wie sie sie aus der Scharia ableiten. Die immer deutlicheren Anzeichen für diese Agenda nach dem Regierungsantritt Mursis ließen der säkularen Opposition den Schrecken in die Glieder fahren und verleiteten viele dazu, auf al-Sisi und das Militär zu setzen. Darunter auch der prominente Deutsch-Ägypter Hamed Abdel Samad, der nicht müde wurde, den Militärputsch in Fernsehtalkshows und Artikeln zu verteidigen. In seiner Einschätzung, dass das Militär die einzige Kraft war, die eine islamistische Umgestaltung Ägyptens zu diesem Zeitpunkt noch verhindern konnte, hatte er zweifelsohne recht, aber das sollte kein Grund sein, die bisher nüchterne und kritische Analyse gegen eine Apologetik zu tauschen, die allen Skeptikern die Kompetenz und das Mitspracherecht abspricht – westlichen Beobachtern ebenso wie den verbliebenen kritischen Geistern in Ägypten selbst. Angst ist nun einmal ein schlechter Ratgeber, aber inzwischen scheint auch Abdel-Samad zu einer ausgewogeneren Haltung zurückgefunden zu haben. Dass das Militär keine rechtsstaatliche Politik verfolgt, machten die ersten Prozesse gegen Anhänger der Muslimbrüder mehr als deutlich. In Schnellverfahren von wenigen Minuten Dauer, in denen weder Angeklagte noch deren Anwälte zu Wort kamen, wurden sie zu Hunderten zum Tode verurteilt. Dass nicht einmal der Versuch unternommen wurde, dem Ganzen auch nur den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu geben, sollte große Sorgen bereiten. Die neue Führung unter al-Sisi scheint sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. Willkürliche Verhaftungen, Folter und die Etablierung eines Netzwerks geheimer Gefängnisse zeigen, dass es al-Sisi und dem Militär vorrangig um die Festigung der eigenen Macht und das Ausschalten jeglicher Opposition geht. Denn es sind nicht nur die Anhänger der Muslimbruderschaft, die ins Visier des Sicherheitsapparats geraten. Seit dem Militärputsch wurden auch gezielt Mitglieder der Bewegung des 6. April verhaftet und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Kritische Journalisten und Blogger sehen sich ebenfalls neuen Verfolgungen ausgesetzt, TV-Sender und Zeitungen, die sich dem Sisi-Kult nicht anschließen, wurden geschlossen.[1] Diese Vorgehensweise zieht sich wie ein roter Faden durch die jüngere Geschichte Ägyptens. Sie fand sich unter Nasser, Sadat und Mubarak ebenso wie unter Mursi. Selbst der Fernseh-Satiriker Bassem Youssef, Ägyptens beliebtester Komiker, hat mittlerweile aufgegeben: „Ich bin müde und fühle mich in meiner persönlichen Sicherheit bedroht“, sagte er am vergangenen Montag auf einer Pressekonferenz. Während der Proteste gegen Mubarak im Jahr 2011 avancierte Youssef mit YouTube-Clips, in denen er auch gegenüber dem Machthaber kein Blatt vor den Mund nahm, zum Star. In der Folge legte er sich auch mit Mursi an. In seiner seit dem Sommer 2011 von einem privaten Fernsehsender ausgestrahlten Show waren weder religiöse Prediger, noch führende Mitglieder der Muslimbruderschaft oder der Präsident selbst vor seinem Spott sicher. Seine Kritik machte auch vor der neuen Führung nicht halt. Immer wieder wurde seine Show verboten, aber Bassem Youssef ließ sich den Mund nicht verbieten. In seiner letzten Sendung kurz vor der Wahl machte er sich über die „ach so spannende“ Präsidentenwahl lustig. Doch was ihm selbst unter Mursi noch möglich war, ist ihm unter al-Sisi zu gefährlich geworden. Bei näherem Hinsehen fällt jedoch auf, dass sich manches in Ägypten geändert hat: Seit dem Umsturz von 2011 und wohl auch bedingt durch die verstärkte Beobachtung von außen, fühlen sich die jeweiligen Machthaber genötigt, ihrer Macht zumindest den Anschein einer demokratischen Legitimation zu geben, indem sie das Volk an die Urnen rufen. Die niedrige Wahlbeteiligung legt jedoch nahe, dass eine Mehrheit der Ägypterinnen und Ägypter nicht gewillt ist, diese Legitimation zu erteilen. Dieser Befund sagt noch nichts über die jeweiligen Gründe für den Wahlboykott aus. Es ist zu vermuten, dass ein Großteil jener, die nicht zur Wahl gegangen sind, dem Aufruf der Muslimbruderschaft und islamistischer Prediger gefolgt ist und nur ein kleiner Teil gegen diese im Kern undemokratische Wahl protestiert hat. Zumindest dringen nur sehr wenige Stimmen aus diesem Kreis nach außen. Das Land ist tief gespalten in zwei Lager, die beide autokratisch und undemokratisch sind. Für die schmale Gruppe, die aus Ägypten einen freien, demokratischen Rechtsstaat machen möchte, bleibt dazwischen kaum Platz. (Wahlen und Demokratie) Eine funktionierende Demokratie braucht, das hat nicht zuletzt Ägypten in den vergangenen drei Jahren gezeigt, mehr als Wahlen – sie braucht eine qualifizierte Mehrheit in der Bevölkerung, eine Mehrheit, die für Menschenrechte eintritt und den Schutz derselben von ihrer Regierung einfordert, und das nicht nur für die eigene Gruppe, sondern auch für den politischen Gegner. Solange eine Mehrheit ein autokratisches Regime bejubelt und es als normal erachtet, dass die jeweiligen Gegner im Gefängnis oder auf dem Schafott landen, wird in Ägypten kein demokratischer Staat entstehen können. Fürs erste befindet sich das Land in der Phase Mubarak 2.0. (siehe auch: Die Zukunft der Arabischen Welt)
Nachtrag 23. Juni 2014 Die Verurteilung von Journalisten zu mehmehrjährigen Haftstrafen, wegen Verbreitung “falscher Nachrichten” scheint die Entwicklung zu bestätigen: orf.at/stories/2235112/2235116/
[1] Karoline KRAUSE, Ohne Anklage im ägyptischen Geheimgefängnis, in: Kurier v. 5. Mai 2014, S. 5. Hier online.