Die Kritik postkolonialer Theoretiker am westlichen Kolonialismus blendet den langen Strang imperialer Geschichte gewöhnlich aus. Daraus entstehen verzerrte Geschichtsbilder, die neue Machtgelüste bedienen.
Entstehung und Untergang von Imperien sind seit Tausenden von Jahren eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Seit vor rund fünftausend Jahren das erste ägyptische Reich entstand, erlebte allein die Region von Mesopotamien bis Nordafrika und Europa noch vor dem Aufstieg europäischer Kolonialmächte in der frühen Neuzeit zahlreiche Imperien: das ägyptische, sumerische, babylonische, assyrische und persische Reich, das kurze Imperium Alexanders, das Römische, das Byzantinische, arabische, fränkische, mongolische, Osmanische und russische Reich. Ferner wären noch das chinesische Reich, das Reich der Inkas, das der Azteken oder das Songhaireich in Westafrika zu erwähnen. Allein diese unvollständige Aufzählung umfasst siebzehn Imperien der Weltgeschichte.
In Werken postkolonialer Theorie, nicht zu verwechseln mit historischer Forschung zur Kolonialgeschichte, ist heute indessen eine manische Fixiertheit auf Europa augenfällig, ein Eurozentrismus, der den langen Strang imperialer Geschichte der Menschheit ausblendet. In dieser Darstellung wird Europa zum alleinigen Subjekt der Geschichte, während alle anderen Völker und Regionen zu bloßen Objekten europäischen Handelns degradiert werden. Genährt wird eine Weltsicht, die von der Annahme ausgeht, alle Übel dieser Welt – Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Sklaverei, Sexismus, ja jegliche Form von Unterdrückung und Ausbeutung – seien erst durch den Westen und das „westliche Denken“ erzeugt worden, gemäß der leitenden Annahme, der europäische Kolonialismus wirke bis heute fort und halte die Völker der Welt in Knechtschaft.
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