Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel “Judenfeindschaft”
Der Begriff Antisemitismus, geprägt im 19. Jahrhundert, hat sich mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch für alle Formen der Judenfeindschaft durchgesetzt, wobei die unterschiedliche Genese in verschiedenen Regionen und Kulturen außer Acht bleibt. Zum besseren Verständnis der Unterschiede und Gemeinsamkeiten jedoch scheint für unser Thema ein Blick auf die historische Entwicklung der Judenfeindschaft in Islam und Christentum hilfreich.
Der europäische Antisemitismus hat seine Wurzeln im christlichen Antijudaismus und reicht in die ersten Jahrhunderte des Christentums zurück. Seit der Abspaltung der frühen Christen vom Judentum war das Weiterbestehen der jüdischen Religion die gelebte Infragestellung christlicher Heilsvorstellung, denn die Juden warteten weiterhin auf jenen Messias, den die Christen mit Jesus bereits gekommen sahen. Die Existenz
“Ecclesia und Synagoge”, 13. Jh., Darstellungen der Siegreiche Kirche und der besiegten Synagoge mit gebrochenem Stab und verbundenen Augen vom Portal des Straßburger Münsters
des Judentums traf die christliche Identität in ihrem Kern. Doch die Juden waren, obgleich als verstockt und verdammt angesehen, auch, wie Ernst Gombrich einmal feststellte, integraler Teil der christlichen Erlösungsgeschichte. Sie waren „Gottes erste Liebe“ (Friedrich Heer), das Volk, mit dem Gott den ersten Bund geschlossen hatte, mit ihnen teilte man das Alte Testament.[1] In dieser theologischen Verflechtung, die Herausforderung und ständige Provokation zugleich war, liegt die Ursache dafür, dass Juden im christlichen Diskurs von Beginn an Gegenstand der Auseinandersetzung und dominantes Feindbild waren und das Christentum eine solche Fülle an judenfeindlichen Schriften hervorbrachte. Zentraler Punkt war hierbei der schon für das zweite christliche Jahrhundert belegte Vorwurf des Gottesmordes:
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