Der Begriff Islamophobie

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Der Begriff Islamophobie“.

Der Terminus Islamophobie ist eine Wortneuschöpfung der angelsächsischen Soziologie der 1990er Jahre. Der Begriff operiert mit einer aus der Psychologie stammenden Definition irrationaler Angstzustände: Als Phobie oder phobische Störung wird eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Personen bezeichnet. Der erste Teil der Wortverbindung benennt den jeweiligen Auslöser dieser Angst, der in Verbindung mit dem Wort Phobie ein Krankheitsbild bezeichnet – zum Beispiel Arachnophobie (griechisch Arachno=Spinne), die Angst vor Spinnen oder Klaustrophobie (lateinisch claustrum=Käfig), die Angst vor engen Räumen. Der Auslöser einer Phobie ist demnach wertfrei; etwas, das für sich genommen nicht bedrohlich ist, aber bei der betroffenen Person Angst bis hin zu Panikattacken auslöst und deshalb in der Psychologie als Krankheitsbild beschrieben wird. Die Begriffsverbindung Islamophobie würde demgemäß eine krankhafte, weil unbegründete, Angst vor dem Islam bezeichnen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass Religionen, Weltanschauungen, Ansichten, wissenschaftliche Theorien, kurz, jegliche Denk- und Vorstellungskomplexe nicht wertfrei sind. Sie rufen naturgemäß entweder Anerkennung/Zustimmung oder Kritik/Ablehnung hervor und sind somit von vornherein Auslöser von Diskussion und Wertung. Wir sprechen zu Recht nicht von Christentumsphobie, wenn Menschen die christliche Lehre und Kirchenpolitik kritisieren oder gar bekämpfen. Die Ablehnung der Evolutionstheorie, die mit dem Versuch einhergeht, Darwins Lehre aus dem Schulunterricht zu verbannen, wird nicht mit dem Begriff Evolutionsphobie beschrieben, ebenso wenig wird Kritik an oder Angst vor dem Kommunismus oder Kapitalismus als Phobie bezeichnet, und sei sie noch so emotional vorgetragen. Weiterlesen

Die Universalität der Menschenrechte

Der Forderung nach Menschenrechten in außerwestlichen Staaten – in jüngster Zeit vor allem in arabischen – wird häufig damit begegnet, diese seien eine westliche Erfindung, die sich nicht ohne weiteres auf andere Kulturen übertragen lasse. Es steht außer Frage, dass die Menschenrechte das Ergebnis einer philosophischen und rechtlichen Entwicklung sind, die in dieser Form nur in Europa und in seiner Folge in Nordamerika zum Tragen kam.[1] Aber schmälert das deren Anspruch auf universale Gültigkeit? Lässt sich eine universale Gültigkeit von einem übergeordneten Standpunkt aus begründen und gibt es einen solchen Standpunkt?

1776 wurde in Virginia die erste Verfassung der Menschheitsgeschichte angenommen, die die Menschenrechte von einer Idee in positives Recht überführte und erstmals von einer Gleichheit der Rechte aller Menschen sprach: „Alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte, welche sie ihrer Nachkommenschaft durch keinen Vertrag rauben oder entziehen können, wenn sie eine staatliche Verbindung eingehen, und zwar den Genuss des Lebens und der Freiheit, die Mittel zum Erwerb und Besitz von Eigentum und das Erstreben und Erlangen von Glück und Sicherheit.“ Das begründete den normativen Universalismus der Menschenrechte. Die Überführung in einklagbares Recht führte dazu, Weiterlesen

Culture Rules

Je nachdem, in welchen Kreisen man diskutiert, offenbaren sich unterschiedliche Ansichten über die Frage „Was ist Kultur und wie prägt sie Mensch und Gesellschaft?“. In meinem beruflichen Beschäftigungsfeld, das eher von Historiker/innen und Kulturwissenschaftler/innen geprägt ist, ist die Untersuchung kultureller Phänomene und deren Auswirkungen auf Geschichte, Menschheitsentwicklung und die verschiedenen Ausformungen von Gesellschaften wesentlicher Bestandteil der Forschung. In sozial- und politikwissenschaftlichen Instituten, insbesondere in den links und multikulturalistisch (nicht zu verwechseln mit multikulturell[1]) ausgerichteten, ist die Beschäftigung mit dem Thema häufig tabubelastet und der Vorwurf des „Kulturalisierens“ und – damit verbunden – einer rechten Gesinnung schnell zur Hand.

Einige Gedanken zu Kultur und ihrem Einfluss auf Menschen und deren Handeln.

Was ist Kultur? Sie kann zunächst als gestaltendes Handeln von Menschen, als die Gesamtheit der von Menschen hervorgebrachten Leistungen und die das Zusammenleben gestaltenden Regeln verstanden werden.[2] Diese Leistungen und Regeln bezeichnen wir aber nur dann als Kultur, wenn sie mehr sind als kurzfristige Blitze im Lauf der Geschichte; zur Kultur werden sie dadurch, dass sie innerhalb einer Gruppe tradiert und zu einem charakteristischen Bestandteil des Lebens werden. Wir wissen nicht, ob nicht irgendwer vor Urzeiten irgendwo für sich ein Rad erfunden und benutzt hat: Zum Kulturgut wurde es erst, als dieses Fortbewegungsmittel von einer Gruppe angenommen, genutzt und weitertradiert wurde.Rad Somit können wir Kultur auch als die Gesamtheit des tradierten Wissens einer Gruppe von Menschen bezeichnen. Wissen in diesem Zusammenhang meint umfassendes Wissen, also nicht nur das Wissen von Fakten und Techniken, sondern auch das Wissen vom Leben, vom Universum und dem ganzen Rest; Weiterlesen

Toleranz

Eine Leseprobe aus dem Buch Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012 von Nina Scholz und mir, mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Toleranz“.          (im Buch leider ohne Bilder)

Passagen

In der Folge der Anschläge vom 11. September 2001, die den Islam und das Leben in den islamischen Ländern vom bestenfalls randständigen Thema zum Tagesgespräch machten, ist über die Toleranz des Islam viel gestritten worden. Die einen werden der Wiederholung nicht müde, dass der Islam in Geschichte und Gegenwart eine tolerante und friedliche Religion gewesen sei, während die anderen im Islam und seinem heiligen Buch, dem Koran, den Inbegriff der Intoleranz sehen.

Der Begriff der „Toleranz“ hat im Laufe seiner Geschichte einen erheblichen Wandel erfahren. Im Zuge der Reformation, den ihr folgenden Glaubenskriegen im 16. und 17. Jahrhundert und der beginnenden Aufklärung, wurde der Begriff vom Lateinischen tolerare (= erdulden) ins Deutsche übernommen. Zunächst bedeutete Toleranz nur die Duldung Andersgläubiger als religiöse Minderheit durch die Mehrheit, beziehungsweise durch den Staat, der bis dahin nicht anders als religiös einheitlich vorstellbar gewesen war. Nach der Reformation galt diese Einheit nicht mehr auf Reichsebene, sondern nur noch auf der Ebene der Fürstentümer.[1]

Im Mittelalter war es Juden erlaubt, in einigen Städten zu siedeln; ihr Status war jedoch durch Sondergesetze festgelegt, die den päpstlichen Vorgaben folgten und sie als Fremdkörper in christlicher Umgebung markierten. Es war Papst Innozenz III., der die Ausgrenzung der Juden aus der christlichen Umwelt zur Perfektion trieb und den Juden den Weg ins Ghetto wies. Auf dem von ihm geleiteten IV. Laterankonzil wurde 1215 beschlossen, dass Christen keine Juden heiraten durften, dass Juden als Zeichen ihrer Stigmatisierung bestimmte Kleidung zu tragen hatten und zu bestimmten christlichen Festen (zum Beispiel in der Karwoche) nicht auf die Straße gehen durften.[2] Weiterlesen

Blasphemiegesetze? Part II

In meinem ersten Beitrag zu  Blasphemiegesetzen vor sechs Wochen ging es mir vor allem um die Ungleichbehandlung von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen. War die Diskussion damals noch abstrakt, bekommt sie aktuell dadurch eine neue Dimension, dass Politiker über schärfere Gesetze zur Ahndung von Blasphemie diskutieren. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Singhammer, hält eine Zeit brennender Botschaften für geeignet, dem deutschen Bundestag ein neues, altes und verschärftes Blasphemiegesetz vorzulegen (Es wurde bereits im Jahr 2000 vorgelegt und abgelehnt). Ginge es nach ihm, sollte der Bezug auf den „öffentlichen Frieden“ aus dem § 166 StGB wieder gestrichen werden, wodurch fortan jede öffentliche Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses strafbar wäre. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, steht ihm nicht nach und fordert in einer Rede mit Blick auf den Mohammed-Film, der seit 2 Wochen die Welt beschäftigt, “dass diese Art von blasphemischen Filmen verurteilt werden muss.“ Beide schließen sich damit einer langjährigen Forderung der OIC (Organisation für islamische Zusammenarbeit) an, Weiterlesen

Was Günter Grass gesagt hat

Zu Günter Grass fällt mir nichts ein – seine Person interessiert mich nicht, sein Alter spielt für mich keine Rolle und ebenso wenig seine längst vergangene Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Bezüglich letzterer erscheint es mir geradezu frivol, sie im Zusammenhang mit seinem jüngsten Text zu nennen. Wer möchte gerne an seinen Handlungen als 17jähriger gemessen werden? Natürlich: Das jahrzehntelange Schweigen über die eigene Vergangenheit, während das „Gewissen der Nation“ in anderen eilfertig das Konservative oder Reaktionäre sah und brandmarkte – das wäre ein Thema für sich, hat aber mit dem jüngsten Text allenfalls am Rande zu tun. All das führt nur weg vom Thema, seinem Text, führt nur hin zu seiner Person, deren Psychologie mich eben nicht interessiert. Auch nicht, ob er Antisemit ist, sein könnte oder immer schon war. Nicht er sollte Aufsehen erregen, sondern sein jüngster Text, den nicht zu kennen kaum mehr möglich ist. Und dieser Text wäre auch dann kein anderer, wenn ein anderer ihn geschrieben hätte. Ist er anti-israelisch? Ist er antisemitisch?

Anders als ein politischer Essay, verlangt die von Günter Grass gewählte Form des Gedichts geradezu danach, den Subtext mit Bedacht zu lesen und zu entschlüsseln, denn was ein Gedicht in erster Linie vor jeder anderen Literaturgattung auszeichnet, Weiterlesen