Wahlen und Demokratie

Darf eine gewählte Mehrheit über Minderheiten verfügen? Oder: Was Mursis Demokratievorstellungen mit dem Schweizer Minarettverbot gemein haben.

Ein Gastbeitrag von Nina Scholz

Kann man bereits von einer Demokratie sprechen, wenn Regierung und/oder Präsident, wie in Ägypten geschehen, in freien Wahlen gewählt wurden? Wer die mediale Berichterstattung und – noch bedenklicher – die Kommentare diverser westlicher Politiker nach dem Militärcoup in Ägypten verfolgte, hätte auf diese Idee verfallen können. Viele kritisierten die Machtübernahme des Militärs vor allem deshalb, weil ein demokratisch gewählter Präsident aus dem Amt geputscht worden sei. Die Demokratie in Ägypten habe einen schweren Rückschlag erlitten, so Guido Westerwelle, und eine „solche Aussetzung der demokratischen Ordnung“ sei „keine nachhaltige Lösung der großen Probleme, vor denen Ägypten steht.“[1] In den ersten Meldungen nach dem Putsch wurde stets betont, Mursi sei der erste durch freie Wahlen eingesetzte Präsident gewesen. Implizit verbirgt sich hinter diesen Statements die Vorstellung, Wahlen an sich würden eine Demokratie begründen und die Politik einer gewählten Mehrheit legitimieren. Die deutsche Geschichte gibt uns eines der besten Beispiele für die Falschheit dieser Vorstellung. Weiterlesen

Schule ohne Rassismus?

In einem Artikel in der Welt kritisierte Alan Posener unlängst das aktuelle Themenheft „Rassismus erkennen & bekämpfen“ des Netzwerks Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Der Geschäftsführer des Netzwerks, Eberhard Seidel, reagierte auf diese Kritik mit einem längeren Kommentar. Als ich ihn darauf hinwies, dass seine Ausführungen an der Kritik Poseners vorbeigehen, bot er mir an, mir dieses Themenheft (und einige weitere) zuzusenden, damit ich die inkriminierten Stellen im Zusammenhang lesen und mir selbst ein Bild machen könne. Das habe ich getan. Weiterlesen

Das antiamerikanische Ressentiment

Neben Israel existiert nur ein weiterer Staat, bei dem Regierungspolitik und Bevölkerung umstandslos in eins gesetzt werden: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie sich in den aktuellen Debatten um die Abhörprogramme der NSA neuerlich zeigt, kippt die durchaus berechtigte Kritik an der US-Außenpolitik oder den US-Geheimdiensten immer wieder schnell in ein Vorurteil gegen DIE Amerikaner im allgemeinen um. So schreibt etwa Jakob Augstein auf S.P.O.N.: „Die Amerikaner überwachen rund 500 Millionen deutsche Datenverbindungen im Monat, sie behandeln uns wie einen Feind.“[1] Dass Die Amerikaner unsere Feinde sind – mit dieser Sicht steht Jakob Augstein nicht alleine, dieses Ressentiment hat eine große einende Kraft, die Menschen von links bis rechts zusammenführt. Wirft man einen Blick in die einschlägigen Foren, geht es kaum noch um NSA und PRISM, sondern um die „Amis“, die wahlweise als „bösartig“, „barbarisch“, „dekadent“, „oberflächlich“ oder „kulturlos“  und „dumm“ beschrieben werden – meist alles zugleich. Das berüchtigte Zitat von Georges Clemenceau „Amerika, das ist die Entwicklung von der Barbarei zur Dekadenz ohne den Umweg über die Kultur“ wird allenthalben gerne und mit genussvoller Süffisanz zitiert. Weiterlesen

Politiker und Menschenrechte

Manche Politiker haben augenscheinlich Schwierigkeiten mit den Grund- und Menschenrechten. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich etwa phantasiert von einem „Supergrundrecht“ namens Sicherheit, das alle anderen Grundrechte in den Schatten stelle. Als ausgebildeter Jurist sollte er es wahrlich besser wissen.[1] Die österreichische Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) wiederum, ebenfalls Juristin, scheint die Grundprinzipien europäischer Rechtsordnungen nicht zu kennen, obwohl sie als außerordentliche Universitätsprofessorin sogar Vorlesungen gehalten hat.

Zur Vorgeschichte: Anfang Mai dieses Jahres wurde ein 14jähriger Untersuchungshäftling in der Justizanstalt Josefstadt von zwei älteren Jugendlichen in der Zelle mit einem Besenstiel vergewaltigt. Am 25. Juni machte die Wiener Wochenzeitung Falter den Fall publik. Die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig hatte dem Falter von diesem Fall und weiteren Missständen in der Jugendhaft berichtet und dabei von Folter gesprochen, die „die Jugendlichen aufgrund erbärmlicher Haftbedingungen zu erleiden hätten.“ Weiterlesen

Der Begriff Islamophobie

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Der Begriff Islamophobie“.

Der Terminus Islamophobie ist eine Wortneuschöpfung der angelsächsischen Soziologie der 1990er Jahre. Der Begriff operiert mit einer aus der Psychologie stammenden Definition irrationaler Angstzustände: Als Phobie oder phobische Störung wird eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Personen bezeichnet. Der erste Teil der Wortverbindung benennt den jeweiligen Auslöser dieser Angst, der in Verbindung mit dem Wort Phobie ein Krankheitsbild bezeichnet – zum Beispiel Arachnophobie (griechisch Arachno=Spinne), die Angst vor Spinnen oder Klaustrophobie (lateinisch claustrum=Käfig), die Angst vor engen Räumen. Der Auslöser einer Phobie ist demnach wertfrei; etwas, das für sich genommen nicht bedrohlich ist, aber bei der betroffenen Person Angst bis hin zu Panikattacken auslöst und deshalb in der Psychologie als Krankheitsbild beschrieben wird. Die Begriffsverbindung Islamophobie würde demgemäß eine krankhafte, weil unbegründete, Angst vor dem Islam bezeichnen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass Religionen, Weltanschauungen, Ansichten, wissenschaftliche Theorien, kurz, jegliche Denk- und Vorstellungskomplexe nicht wertfrei sind. Sie rufen naturgemäß entweder Anerkennung/Zustimmung oder Kritik/Ablehnung hervor und sind somit von vornherein Auslöser von Diskussion und Wertung. Wir sprechen zu Recht nicht von Christentumsphobie, wenn Menschen die christliche Lehre und Kirchenpolitik kritisieren oder gar bekämpfen. Die Ablehnung der Evolutionstheorie, die mit dem Versuch einhergeht, Darwins Lehre aus dem Schulunterricht zu verbannen, wird nicht mit dem Begriff Evolutionsphobie beschrieben, ebenso wenig wird Kritik an oder Angst vor dem Kommunismus oder Kapitalismus als Phobie bezeichnet, und sei sie noch so emotional vorgetragen. Weiterlesen

Respekt gegenüber einer Religion?

Immer wieder hört und liest man die Forderung nach „Respekt für den Islam“. Einzelne Muslime erheben diesen Anspruch in Foren, muslimische Vereine und Verbände oder Politiker weisen wiederholt darauf hin.[1] In einem Artikel vom Februar 2013 auf der Seite des Zentralrats der Muslime in Deutschland heißt es: „Mangelnder Respekt vor dem fremden Glauben sollte die gleichen Folgen nach sich ziehen wie Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht.“ Auch in Europa gibt es einige Journalisten und Politiker, die sich diesem Sprachgebrauch anschließen. So etwa der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, als er nach dem Tod Osama Bin Ladens 2011 befand, es gelte religiöse Kulturen zu achten und den Islam zu respektieren. Ist mangelnder Respekt vor einem Glauben das Gleiche wie die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Hautfarbe? Weiterlesen

Bilderverbot

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Bilderverbot“.          Im Buch selbst ohne Bilder.

Durch den Karikaturenstreit erfuhr die breitere Öffentlichkeit im Westen erstmals von einem in der islamischen Welt üblichen, religiös begründeten Bilderverbot. Im Oktober 2005 hatte die dänische Zeitung Jyllands Posten zwölf Karikaturen zum Thema „Mohammed“ abgedruckt, die in der islamischen Welt eine Welle gewalttätiger Demonstrationen mit Verletzten und Toten auslösten. Vertreter muslimischer Organisationen und Institutionen beriefen sich bei der Ablehnung der Karikaturen neben der Beleidigung religiöser Gefühle auch auf ein strenges Bilderverbot im Islam. Auch manche und mancher westliche Intellektuelle machte sich diese Sicht zu eigen. Günther Grass zum Beispiel kommentierte die Proteste lapidar mit der Bemerkung, den Zeitungsherausgebern sei bekannt gewesen, dass die Darstellung Allahs oder Mohammeds in der islamischen Welt verboten sei.[1] Ist sie das wirklich? Und wenn ja, was hat die übrige Welt mit diesem Verbot zu tun?Jesus+MohammedBereits Anfang 2002 hatte es in mehreren islamischen Ländern eine ähnliche, wenn auch weniger heftige Reaktion auf einen „Verstoß“ gegen das Bilderverbot gegeben, der in Europa allerdings kaum wahrgenommen worden war.

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Schöne neue Welt

Die EU-Kommission plant eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf soziale Netzwerke[1],  EU-Forschungsprojekte befassen sich mit der möglichst lückenlosen Überwachung der europäischen Bürgerinnen und Bürger und nach dem Anschlag in Boston erschallt erneut der Ruf nach verstärkter Videoüberwachung.[2] Europa steuert sehenden Auges auf Orwells Vision des Überwachungsstaates zu. Im Zuge eines regelrechten Sicherheitswahns werden Bürgerrechte schrittweise außer Kraft gesetzt. Die Angst vor Terroranschlägen bereitet „Law and Order“-Politikern die Bühne und lässt Zweifler verstummen. Das Lobbying der „Sicherheitsindustrie“ tut ein Übriges, um uns immer mehr Überwachung durch immer ausgeklügeltere Techniken schmackhaft zu machen.

Im Zuge der bereits laufenden Vorratsdatenspeicherung wird jedes Telefongespräch registriert. Zwar wird (noch) nicht der Inhalt aufgenommen, aber wann wir wie lange mit wem telefonieren wird gespeichert, ebenso jede Seite, die wir im Internet aufrufen und jede Email, die wir versenden. Weiterlesen

Ausländerfeindlicher Artikel im Profil?

Das Profil beschwert sich über Einwanderung aus unserem Nachbarland. In der aktuellen Ausgabe Nr. 14 vom 29. März 2013 findet sich auf den Seiten 20-23 unter der Überschrift Verdrängungsbeschwerden ein Artikel, der hier in Auszügen dokumentiert wird:

Jede vierte Professorenstelle an österreichischen Universitäten ist mit einem Bewerber aus Tschechien besetzt, an der Wiener Uni geht jede dritte Neuberufung an Tschechen. Die erhoffte Internationalisierung ist oft nur eine Tschechisierung. Weiterlesen

Die Universalität der Menschenrechte

Der Forderung nach Menschenrechten in außerwestlichen Staaten – in jüngster Zeit vor allem in arabischen – wird häufig damit begegnet, diese seien eine westliche Erfindung, die sich nicht ohne weiteres auf andere Kulturen übertragen lasse. Es steht außer Frage, dass die Menschenrechte das Ergebnis einer philosophischen und rechtlichen Entwicklung sind, die in dieser Form nur in Europa und in seiner Folge in Nordamerika zum Tragen kam.[1] Aber schmälert das deren Anspruch auf universale Gültigkeit? Lässt sich eine universale Gültigkeit von einem übergeordneten Standpunkt aus begründen und gibt es einen solchen Standpunkt?

1776 wurde in Virginia die erste Verfassung der Menschheitsgeschichte angenommen, die die Menschenrechte von einer Idee in positives Recht überführte und erstmals von einer Gleichheit der Rechte aller Menschen sprach: „Alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte, welche sie ihrer Nachkommenschaft durch keinen Vertrag rauben oder entziehen können, wenn sie eine staatliche Verbindung eingehen, und zwar den Genuss des Lebens und der Freiheit, die Mittel zum Erwerb und Besitz von Eigentum und das Erstreben und Erlangen von Glück und Sicherheit.“ Das begründete den normativen Universalismus der Menschenrechte. Die Überführung in einklagbares Recht führte dazu, Weiterlesen