Der Westen als Sündenbock

Die Kritik postkolonialer Theoretiker am westlichen Kolonialismus blendet den langen Strang imperialer Geschichte gewöhnlich aus. Daraus entstehen verzerrte Geschichtsbilder, die neue Machtgelüste bedienen.

Entstehung und Untergang von Imperien sind seit Tausenden von Jahren eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Seit vor rund fünftausend Jahren das erste ägyptische Reich entstand, erlebte allein die Region von Mesopotamien bis Nordafrika und Europa noch vor dem Aufstieg europäischer Kolonialmächte in der frühen Neuzeit zahlreiche Imperien: das ägyptische, sumerische, babylonische, assyrische und persische Reich, das kurze Imperium Alexanders, das Römische, das Byzantinische, arabische, fränkische, mongolische, Osmanische und russische Reich. Ferner wären noch das chinesische Reich, das Reich der Inkas, das der Azteken oder das Songhaireich in Westafrika zu erwähnen. Allein diese unvollständige Aufzählung umfasst siebzehn Imperien der Weltgeschichte.

In Werken postkolonialer Theorie, nicht zu verwechseln mit historischer Forschung zur Kolonialgeschichte, ist heute indessen eine manische Fixiertheit auf Europa augenfällig, ein Eurozentrismus, der den langen Strang imperialer Geschichte der Menschheit ausblendet. In dieser Darstellung wird Europa zum alleinigen Subjekt der Geschichte, während alle anderen Völker und Regionen zu bloßen Objekten europäischen Handelns degradiert werden. Genährt wird eine Weltsicht, die von der Annahme ausgeht, alle Übel dieser Welt – Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Sklaverei, Sexismus, ja jegliche Form von Unterdrückung und Ausbeutung – seien erst durch den Westen und das „westliche Denken“ erzeugt worden, gemäß der leitenden Annahme, der europäische Kolonialismus wirke bis heute fort und halte die Völker der Welt in Knechtschaft.
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Antisemitismus bei den Islamischen Föderationen in Österreich

von Nina Scholz und Heiko Heinisch

Funktionäre und Moscheevereine der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs zeigen eine gefährliche Gesinnung, die den Islam als Kampfansage gegen Demokratie und Pluralismus begreift.

Turkish President Recep Tayyip Erdogan 2nd-R visits the mausoleum of Necmettin Erbakan, whose tenure as the first Islamist prime minister of Turkey 19961997 at Topkapi Cemetery in Istanbul, Turkey. President Erdogan and his rival Kemal Kilicdaroglu of the Republican People s Party CHP, were forced into a runoff election when both of them couldn t received more than 50 percent of the vote on the May 14 election. The runoff vote will be held on Sunday, May 28. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY TUR2023052732 TurkishxPresidentxPressxOffice

 

Im vergangenen November sorgten in Österreich geplante Einrichtungen der Islamischen Föderationen für mediale Aufmerksamkeit. Dabei ging es um den Bau einer neuen Zentrale der Islamischen Föderation Wien (IFW), die verschiedene islamische Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Versammlungsräumlichkeiten beherbergen soll, und eine Moschee mit angeschlossenem Bildungszentrum für rund achtzig Schüler, die im niederösterreichischen Pottendorf entstehen soll.

Millî Görüş

Beide Projekte wurden in den Medien kritisch betrachtet, handelt es sich bei den Islamischen Föderationen doch um den österreichischen Regionalverband der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) mit Sitz in Köln. Sie wird in Deutschland wegen islamistischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet. Die österreichische Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) schreibt in ihrem aktuellen Verfassungsschutzbericht über Millî Görüş:
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Islam? Islamismus? Wo ist die Grenze? Die Debatte zwischen Heiko Heinisch und Kenan Güngör.

Die Debatte

Der Islam ist eine Weltreligion, der Islamismus dagegen wird in der westlichen Welt vorwiegend als eine Form des Extremismus wahrgenommen, die sich gegen Demokratie und Menschenrechte wendet, oft gewalttätig und bewaffnet. Nach jedem islamistischen Terroranschlag wird diskutiert, wo die Grenze zwischen dem Islam und Islamismus verläuft.

Die Debatte zwischen Kenan Güngör und mir kann hier nachgehört werden

oder hier

Israels Strategie ist aufgegangen

Europa hat verlernt, geopolitisch und strategisch zu denken und verkennt die historische Wende im Nahen Osten.

Nachdem der Iran Israel am 1. Oktober bereits zum zweiten Mal mit Raketen angegriffen hatte, kam es in der Nacht von Freitag auf Samstag zum lange erwarteten israelischen Gegenschlag. Welche Schlüsse lassen sich aus den Entwicklungen der letzten Tage beziehungsweise der vergangenen dreizehn Monate seit dem 7. Oktober 2023 ziehen? Eines lässt sich jetzt schon sagen, auch wenn viele europäische Beobachter es noch nicht wahrhaben wollen: Geopolitisch wurden die Karten im Nahen Osten komplett neu gemischt.

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„Die größte Gefahr für Europa geht vom islamistischen Extremismus aus“

Mein Interview mit Corrigenda*

Kalifat, Scharia und Geschlechtertrennung: Der legalistische Islamismus verfolge die gleichen Ziele wie der dschihadistische, meint der Islamismusexperte Heiko Heinisch. Im Interview erzählt er, was Politiker sofort gegen die gefährliche Ideologie tun müssten.

Herr Heinisch, ist der Islamismus derzeit die größte Gefahr für Deutschland?

Nicht nur für Deutschland. Für ganz Europa geht aktuell mit Abstand die größte Gefahr vom islamistischen Extremismus aus.

Was ist der Unterschied zwischen Islamismus und legalistischem Islamismus?

Mit legalistischem Islamismus beschreiben wir jene Akteure, die im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung agieren und nicht zu Gewalt greifen, also Akteure, die wir auch in Deutschland haben, wie die Muslimbruderschaft oder die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Die ordne ich dem islamistischen Spektrum zu. Sie verhalten sich aber eben legalistisch, versuchen also, unter Ausnutzung demokratischer Spielregeln ihrer Ideologie zum Durchbruch zu verhelfen.

Es ist vergleichbar mit der linken Bewegung Ende der 1960er-Jahre, wo ein Teil den Marsch durch die Institutionen angetreten ist und ein anderer Teil zur Waffe gegriffen hat und versuchte, die eigene Utopie mit Bomben und Kalaschnikows herbeizuführen.

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Postkolonialismus: Wir sind die Bösen

Der vor allem an US-Universitäten boomende Postkolonialismus ist eine Ideologie, die auf Geschichtsfälschung beruht und totalitäre Züge hat.

“Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft. Wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit“, heißt es in George Orwells Roman 1984. Der Satz kann als unausgesprochenes Motto der postkolonialen Bewegung betrachtet werden. Ihre Proponenten arbeiten an nichts Geringerem als einer Neufassung der Geschichte der Menschheit.

Denk- und Zitierverbote, die Zensur historischer Dokumente und Schriften oder deren Entsorgung aus Bibliotheken – die Bewegung geht mit einigem Furor gegen kulturelle Errungenschaften und Grundlagen des Westens vor. Dabei vertritt sie a priori die Gewissheit, dass der Westen für alles Schlechte dieser Welt verantwortlich sei: Ob Imperialismus und Kolonialismus, Rassismus und Ausbeutung, Sexismus und Homophobie, die Wurzeln aller Übel werden im Westen gesucht und gefunden. Eine Ausnahme bildet der Antisemitismus:

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Die Muslimbruderschaft, die Hamas und der Hass auf die Juden

In den 1920er Jahren entwickelte sich in Teilen der islamischen Welt eine politische Bewegung, die die alte, auf die Entstehungsgeschichte des Islam zurückgehende religiöse Judenfeindschaft zum Kern ihrer Identität machte und sie mit modernen antisemitischen Argumenten anreicherte. Aus ihr sollte Ende der 1980er Jahre eine terroristische Organisation hervorgehen, die nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 in aller Munde ist: die Hamas.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wanderten Juden aus dem zaristischen Russland auf der Flucht vor Pogromen nach Palästina ein, ein Gebiet, in dem Juden seit 2.500 Jahren beheimatet waren. Diese Einwanderung stieß bei Teilen der muslimisch-arabischen Bevölkerung auf Widerstand. Zu diesem Zeitpunkt gehörte die von den Römern einst Palästina genannte Region zum Osmanischen Reich und war auf drei Regierungsbezirke aufgeteilt, von denen keiner Palästina hieß. Nachdem das Imperium in Folge des Ersten Weltkriegs endgültig zerfiel, übertrug der Völkerbund im April 1920 das Gebiet, das Jordanien, die heutigen palästinensischen Gebiete und das heutige Israel umfasste, als Mandatsgebiet an Großbritannien.

1921 ernannte die britische Mandatsverwaltung Mohammed Amin al-Husseini zum Großmufti von Jerusalem. Er stammte aus einer einflussreichen arabischen Großfamilie und war ein von der antijüdischen islamischen Überlieferung geprägter Judenhasser. Bereits 1920 und 1921 hatte er gewalttätige Angriffe auf die autochthonen jüdischen Viertel von Jerusalem und Jaffa organisiert. Zu den blutigsten Pogromen, die in seinen Wirkungsbereich fielen, gehören die Massaker an der jüdischen Bevölkerung Hebrons und Safeds im Jahr 1929 mit insgesamt 133 Toten.

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Gesichter des politischen Islam

Kürzlich ist das Buch “Gesichter des politischen Islam” bei Edition Tiamat erschienen, zu dem ich einen Beitrag über den politischen Islam in Europa beigesteuert habe.
Fatma Keser, David Schmidt, Andreas Stahl (Hg.): Gesichter des politischen Islam, Berlin 2023. 480 Seiten, 30,90 €.
Weitere Autorinnen und Autoren: Ulrike Becker, Andreas Benl, Danyal Casar, Stephan Grigat, Jonathan Guggenberger, Ruud Koopmans, Matthias Küntzel, Miriam Mettler, Oliver M. Piecha, Jörg Rensmann, Daniel Rickenbacher, Felix Riedel, Thomas Ruttig, Tina Sanders, Thomas von der Osten-Sacken und Maria Wöhr.
Aus der Verlagsankündigung:
“Wird hierzulande öffentlich über den politischen Islam debattiert, dann geht es zumeist um Kopftücher, Moscheen oder islamistische Anschläge in Europa. Selten geht es darum, wie jener den Alltag eines Großteils der Weltbevölkerung prägt, wie durch ihn das Leben der Menschen insbesondere in der sogenannten islamischen Welt regelmäßig ein beengtes und gefährliches ist. Während der politische Islam im Nahen und Mittleren Osten, seinem historischen Zentrum, trotz anhaltender Herrschaft und Gewalt an Rückhalt zu verlieren droht, was sich in stets wiederkehrenden oppositionellen Protesten zeigt, scheint er seinen gesellschaftlichen und politischen Einfluss in Afrika, Europa und Südostasien auszuweiten. Der Band beleuchtet die Entwicklung des politischen Islam in verschiedenen Regionen der Welt, fragt nach dessen Verschiebung vom »Zentrum« an die »Peripherie« und thematisiert das patriarchale Geschlechterverhältnis sowie den Antisemitismus als tragende Säulen der zugrunde liegenden Ideologie.”

Antisemitismus: Benennen, woher die Gefahr kommt

Soll der 7. Oktober als der Tag in die Geschichte eingehen, der den Exodus der jüdischen Bevölkerung aus Europa ausgelöst hat?

 

“Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel kommt es europaweit zu einem massiven Anstieg des Antisemitismus. Viele Jüdinnen und Juden vermeiden es seither, sichtbare Zeichen ihres Glaubens zu tragen oder in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen, und sie entfernen Mesusot von Türrahmen.
Veranstaltungen werden abgesagt, und bei Kundgebungen werden Teilnehmer gebeten, auf dem Heimweg keine Israel-Fahnen zu zeigen. Eine Bevölkerungsgruppe lebt mitten unter uns in Angst. Wo bleibt der Aufruf des Bundespräsidenten an alle Bürgerinnen und Bürger, aus Solidarität einen Davidstern zu tragen?”

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş

Im Oktober ist unsere neue Studie erschienen: Heiko Heinisch, Hüseyin Çiçek, Jan-Markus Vömel: Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş: Geschichte, Ideologie, Organisation und gegenwärtige Situation.

 

 

Frederik Schindler schreibt in der WELT über die Studie:

Eine Studie der [österreichischen] Dokumentationsstelle Politischer Islam widerspricht nun einer zentralen Einschätzung des hiesigen Bundesamts für Verfassungsschutz. So gibt der deutsche Inlandsnachrichtendienst bereits seit 2014 in seinem jährlichen Bericht Entwarnung. Extremismusbezüge seien ‘deutschlandweit schwächer geworden’, heißt es seitdem darin. Die österreichische Studie […] kommt zu einem anderen Ergebnis.” Sogenannte postislamistische Zirkel der 2000er Jahre wurden nach der Berufung von Kemal Ergün zum Präsidenten der IGMG im Jahr 2011 marginalisiert und spielen in der heutigen IGMG keine Rolle mehr.
Zentrale islamistische Positionen wurden von der IGMG nie aufgegeben. Vor allem findet sich bis heute eine vollkommen kritiklose Verehrung des Gründers der Milli Görüş Bewegung, Necmettin Erbakan, und seiner islamistischen Utopie. Ein tiefverwurzelter, religiös begründeter Antisemitismus durchzieht das gesamte Denken Erbakans wie ein roter Faden. Sein in Verschwörungstheorien verhaftetes Denken sieht in allen negativen Entwicklungen weltweit die Juden am Werk: Schon Herzl habe den Plan entworfen, das Osmanische Reich zu zerstören, Juden hätten die Türkei in den Ersten Weltkrieg getrieben, Juden verhinderten die Industrialisierung der Türkei und über die Wallstreet kontrollierten die “Zionisten” die gesamte Welt. Es gelte, die Menschheit aus der Knechtschaft der Juden bzw. Zionisten (er verwendet beides synonym) zu befreien.
Solange die Verehrung Erbakans innerhalb der IGMG tradiert und seine Schriften verbreitet werden, wird auch sein Antisemitismus an jede neue Generation der IGMG weitervererbt. Das zeigt sich bis heute in einer stetig wachsenden Reihe von antisemitischen “Einzelfällen”, im Hass auf Israel und auch in der Unterstützung der Hamas. Hier findet sich der Artikel in der WELT.
Aus dem Schlusswort der Studie: “Für einen inhaltlichen Kurswechsel der IGMG weg vom Islamismus, wäre eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und dem islamistischen Erbe ebenso unerlässlich, wie eine kritische und tabulose Betrachtung der Person Erbakans. Beides ist aktuell innerhalb der IGMG nicht erkennbar. Darüber hinaus stehen die starke Bindung zur türkischen Regierungspartei AKP sowie zur staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet und zum Präsidium für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften (YTB) einer eigenständigen ideologischen Neuausrichtung der IGMG im Weg.”