Bilderverbot

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Bilderverbot“.          Im Buch selbst ohne Bilder.

Durch den Karikaturenstreit erfuhr die breitere Öffentlichkeit im Westen erstmals von einem in der islamischen Welt üblichen, religiös begründeten Bilderverbot. Im Oktober 2005 hatte die dänische Zeitung Jyllands Posten zwölf Karikaturen zum Thema „Mohammed“ abgedruckt, die in der islamischen Welt eine Welle gewalttätiger Demonstrationen mit Verletzten und Toten auslösten. Vertreter muslimischer Organisationen und Institutionen beriefen sich bei der Ablehnung der Karikaturen neben der Beleidigung religiöser Gefühle auch auf ein strenges Bilderverbot im Islam. Auch manche und mancher westliche Intellektuelle machte sich diese Sicht zu eigen. Günther Grass zum Beispiel kommentierte die Proteste lapidar mit der Bemerkung, den Zeitungsherausgebern sei bekannt gewesen, dass die Darstellung Allahs oder Mohammeds in der islamischen Welt verboten sei.[1] Ist sie das wirklich? Und wenn ja, was hat die übrige Welt mit diesem Verbot zu tun?Jesus+MohammedBereits Anfang 2002 hatte es in mehreren islamischen Ländern eine ähnliche, wenn auch weniger heftige Reaktion auf einen „Verstoß“ gegen das Bilderverbot gegeben, der in Europa allerdings kaum wahrgenommen worden war.

Kenneth L. Woodward, Journalist und Redakteur für Religionsthemen der amerikanischen Zeitschrift Newsweek, hatte im Februar 2002 seinen Artikel „In the Beginning There Were the Holy Books“ mit einer Abbildung des Propheten Mohammed illustriert.[2] Die al-Azhar-Universität in Kairo, eine der höchsten sunnitischen Autoritäten, verwies umgehend auf das Verbot der bildlichen Darstellung des Propheten und prangerte Newsweek wegen Übertretung desselben an. In der Folge wurde Newsweek in Indonesien und Bangladesch verboten, und in Teilen der islamischen Welt kam es zu wütenden Protesten.[3] Bei der Abbildung in Newsweek handelte es sich nicht um eine Karikatur, sondern um eine osmanische Buchillustration aus dem Jahr 1583, mithin ein Stück islamischer Kunst.

2008 brachte die Religionspädagogin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor gemeinsam mit Rabeya Müller in Deutschland eine Ausgabe des Korans speziell für Kinder heraus,[4] die den Zorn strenggläubiger Muslime auf sich zog. Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland, eine im Zentralrat der Muslime in Deutschland vertretene Organisation, beschwerte sich darüber, dass die Autorinnen es gewagt hatten, die Reihenfolge der Suren und Verse für ein besseres Verständnis des Textes zu ändern und einzelne, gewaltbejahende Verse auszulassen. Den meisten Unmut aber erregten die Illustrationen dieser Koranausgabe, darunter eine persische Miniatur aus dem 18. Jahrhundert, die Jesus und Mohammed nebeneinander reitend darstellt.[5] Die Proteste beschränkten sich glücklicherweise auf Pressemitteilungen und wütende Kommentare im Internet.[6]

Was hat es mit dem islamischen Bilderverbot auf sich? Das Bilderverbot stammt aus der jüdischen Tradition. Im jüdischen Gott Jahwe vereinigten sich im Jerusalem des 10. Jahrhunderts v. Chr. Attribute und Eigenschaften des ägyptischen Wetter- als auch des Sonnengottes. „Ein so aspektreicher und so wichtige Phänomene transzendierender Gott hatte gute Chancen, zum einen und einzigen Gott aufzusteigen.“[7] Der Ägyptologe Jan Assmann erwähnt, dass bereits der ägyptische Sonnengott bildlos vorgestellt wurde: „Gerüsteter, Gerüsteter, dessen Wesen man nicht kennt und von dem es keine Bilder der Künstler gibt“, heißt es in einem altägyptischen Hymnus.[8] Es gibt Hinweise darauf, dass im Jerusalem des 8. Jahrhunderts v. Chr. der Sonnenaspekt des Gottes Jahwe in den Vordergrund trat. So wurde auf Siegeln und Stempelabdrücken jener Zeit die ägyptische Sonnensymbolik verwendet.[9]

Im Dekalog im Zweiten Buch Moses 20,4-5 heißt es: „Du sollst dir kein Bildnis machen und keinerlei Gestalt dessen, was im Himmel oben und was auf Erden unten und was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen, denn ich, der Ewige, dein Gott, bin ein eifernder Gott […].“[10] In dieser grundsätzlichen Form wurde das Verbot vermutlich erst im 6. /7. Jahrhundert v. Chr. formuliert, denn frühere Texte der jüdischen Bibel weisen auf Kultbilder wie einen Stier im Nordreich Israel, eine Schlange und eine Statue der Fruchtbarkeitsgöttin Aschera hin und berichten vom Streit über ein Jahwe-Bildnis nach babylonischem Vorbild.[11]

Das den Gläubigen in den Versen des Dekalogs auferlegte Bilderverbot bezieht sich auf Idole. Die Gläubigen sollten sie weder anfertigen, noch sich vor ihnen niederwerfen. Man muss sich vor Augen halten, dass die alten Israeliten zur Entstehungszeit dieser Verse Skulpturen oder Bildwerke allein zu sakralem Gebrauch, zur Anbetung und Verehrung, anfertigten. Eindrucksvoll wettert der Prophet Hosea über den Kult der Stierbilder und über Menschen, die „Kälber küssen“: „Dann sündigten sie noch mehr und machten sich ein Gussbild […], kunstvoll, Götzenbilder, ein Werk von Künstlern alles.“ (Hos 13,2) Das Abbildungsverbot richtete sich nicht gegen künstlerische Darstellung im heutigen Sinne, weil es diese noch nicht gab. Mit der Entstehung des Monotheismus wurde die Produktion von Idolen zunehmend verpönt, hatte man doch jetzt einen Gott, der als unvorstellbar und transzendent gedacht wurde. Jede figürliche oder bildliche Darstellung wäre ein Verstoß gegen den Eingottglauben gewesen, weil das Idol als Konkurrenz zu dem einen, einzigen Gott betrachtet wurde. Das Idol stand nicht als Symbol für einen Gott, vielmehr wurde angenommen, im Idol sei Gott gegenwärtig (Idolatrie). Geschichten wie jene über das Goldene Kalb (2. Moses, 32,1-4) berichten uns von den frühen Auseinandersetzungen um die Durchsetzung des Eingottglaubens und dem damit verbundenen Kampf gegen Idole als Personifikation anderer Götter.

Das Christentum kennt aufgrund seiner Herkunft aus dem Judentum und der Berufung auf die jüdische Überlieferung ebenfalls Auseinandersetzungen um die Abbildbarkeit Gottes und der Heiligen. Von Beginn an hat es Christen gegeben, die dem Bilderkult abgeneigt waren, so genannte Ikonoklasten. Aus Byzanz ist uns aus dem 8. und 9. Jahrhundert eine über einhundert Jahre andauernde Auseinandersetzung zwischen Bilderverehrern und Ikonoklasten überliefert, die das Reich an den Rand eines Bürgerkriegs brachte. In der Ostkirche wird noch heute am ersten Sonntag der Fastenzeit mit dem Fest der Orthodoxie jener Tag gefeiert, an dem im Jahre 843 dieser Streit endgültig zu Gunsten der Bildbefürworter entschieden wurde. In der Westkirche rief die Reformation im 16. Jahrhundert durch ihre Annäherung an das jüdische Gesetz für kurze Zeit wieder Bilderstürmer auf den Plan, die in weiten Teilen Europas unermessliche Kunstschätze zerstörten. Letztendlich konnte sich aber auch hier die bilderfreundliche Sicht durchsetzen.

Der Islam hat durch seine historische Verknüpfung mit Judentum und Christentum das Bilderverbot übernommen. Im Gegensatz zur jüdischen Thora, beziehungsweise zum Alten Testament, enthält der Koran selbst allerdings keinen Hinweis auf ein solches Verbot. In Sure 5.90 wird lediglich die Anbetung von Opfersteinen als Ausdruck des Polytheismus verboten,[12] und Sure 21.52-73 berichtet von Abraham, der Götzenbilder zerstörte und auf der Anbetung des einen Gottes bestand. In beiden Fällen handelt es sich nicht um ein Bilderverbot, sondern um eine Polemik gegen Götzenanbeter und Polytheisten.[13] Erst in den Hadithen (nach islamischer Überlieferung die Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed) wird ein Bilderverbot erwähnt, jedoch nicht ausdrücklich gefordert, auch nicht in Bezug auf eine bildliche Darstellung Gottes oder des Propheten. Die Entstehungszeit der frühesten Hadith-Sammlungen fällt in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts, also in die Hochzeit des Bilderstreits in Byzanz. Vor dieser Zeit lässt sich ein Bilderverbot im Islam nicht nachweisen und es scheint naheliegend, dass sich der byzantinische Ikonoklasmus in der islamischen Überlieferung widerspiegelt.[14] Der Gedanke des Bilderverbots hat in der Folge in die umfangreichen Abhandlungen, welche die islamischen Rechtsschulen in den vergangenen tausend Jahren verfasst haben, Einzug gehalten. Ein Abbildungsverbot ergibt sich erst in der Interpretation durch diese verschiedenen Rechtsschulen.

Ein weiteres Motiv des Bilderverbots im Islam liegt in der Unterstellung, der Künstler maße sich durch die „Schöpfung“ eines Bildes einen gottähnlichen Status an. Der Akt der Schöpfung aber stehe nur Gott allein zu. Daher wird Malern, die Lebendiges, also Tiere oder Menschen malen, in einigen Hadithen mit Höllenqualen im Jenseits gedroht: „Da sagte der Gesandte Gottes: Die Verfertiger dieser Bilder werden am Tag der Auferstehung Qualen zu leiden haben. Und es wird zu ihnen gesagt werden: Macht lebendig, was ihr erschaffen habt! […] Die Engel betreten kein Haus, in dem sich Bilder befinden.“[15]

Ein wichtiges Motiv der islamischen Überlieferungsliteratur zum Thema „Abbildung“ war,  wie im frühen Judentum, die Angst vor einem Rückfall in den Polytheismus und die damit verbundene Götzenanbetung. Immer wieder wird die Befürchtung ausgedrückt, dass Bilder den Gläubigen vom Gebet abhalten oder, schlimmer, Bilder angebetet werden könnten. So heißt es in einigen Hadithen, dass Bilder auf Teppichen, über die man geht, oder auf Kissen, auf denen man sitzt, erlaubt, hingegen Bilder auf Wandteppichen oder Vorhängen, die zum Anschauen geeignet sind, verboten seien.[16]

Da sich die unterschiedlichen Ausrichtungen des Islam auf verschiedene Hadithsammlungen beziehen, und diese Texte selbst mehrdeutig und zum Teil widersprüchlich sind, hängt es von der jeweiligen Richtung des Islam beziehungsweise von der jeweiligen Rechtsschule ab, was im Einzelnen verboten beziehungsweise erlaubt ist. Alle Rechtsschulen sind sich weitgehend darin einig, dass dreidimensionale Darstellungen („alles was Schatten wirft“) verboten sind,[17] vermutlich, weil sie am ehesten an die auch schon im Koran verpönten Götzenbilder vorislamischer Zeit erinnern. Allerdings verweisen selbst in diesem Zusammenhang einige Gelehrte auf ein Hadith, in dem Mohammed Puppen als Spielzeug für Mädchen ausdrücklich erlaubt, dienten sie doch der pädagogischen Vorbereitung auf die spätere Mutterrolle.[18] Eine weitere Ausnahme bildet die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya,[19] die mit Koran und Sunna (Summe der überlieferten Taten und Aussprüche Mohammeds) gegen ein generelles Bilderverbot argumentieren, aber auch sie sind sich mit vielen Muslimen darin einig, dass das Abbilden der Propheten und Heiligen verboten sei, weil Abbildungen nicht der Würde und Heiligkeit derselben entsprechen könnten.[20]

Nach manchen Rechtsmeinungen sind, wie bereits erwähnt, Tier- und Menschenbilder als Bodenschmuck oder auf Kissen erlaubt, an Wänden jedoch verboten. Einige Rechtsschulen lehnen mit Verweis auf die Hadithen Bilder von Lebendem gänzlich ab, also auch die Darstellung von Pflanzen. Andere verbieten nur die Darstellung von Menschen und Tieren, wieder andere lassen deren Darstellung zu, solange die dargestellten Lebewesen eindeutig „nicht lebensfähig“ sind. Daher finden sich hin und wieder Bildwerke in der islamischen Kunst, in denen der Maler sowohl die dargestellten Menschen, als auch die Tiere mittels eines Striches quer über den Hals symbolisch geköpft hat, um zu verdeutlichen, dass das von ihm Erschaffene nicht lebendig ist.[21]Geköpft Die Vorstellung von der “Lebensfähigkeit” von Bild- oder Bildhauerwerken legt die Vermutung nahe, dass sich hier Relikte einer vorislamischen Kultur voller Magie erhalten haben, in der alles, die gesamte Natur, aber auch Bildwerke, wesenhaft erschienen.

Die Widersprüchlichkeiten in der Auslegung haben in der islamischen Welt schon immer für Verwirrung gesorgt und auch in der Kunst ihren Niederschlag gefunden. In der Zeit der Umayyaden (661-750) wurden Paläste und Herrenhäuser mit einer Fülle figurativer Motive ausgestattet,[22] wie wir sie beispielsweise im Hischam Palast bei Jericho, einem Palast des Umayyaden-Kalifen Hisham ibn Abd al-Malik, noch heute bewundern können. Darunter befinden sich Skulpturen in Menschengestalt (heute im Rockefeller Museum in Jerusalem). Im Palast Qusayr’Amra des Kalifen Al-Walid I.,  im heutigen Jordanien, sind Fresken erhalten, die Tiere und Menschen, darunter auch nackte Frauen, zeigen.[23] Anders als jüngere Forschungen, die die Umayyadenherrscher noch im Christentum verhaftet sehen wollen[24], beschreibt die islamische Überlieferung diese Epoche als frühen Islam. Mit der Behauptung, der Islam verbiete bildliche Darstellungen, distanzieren sich Muslime demnach auch von der eigenen frühen Tradition.Umayyaden

In Persien wurde die Miniaturmalerei im 13. Jahrhundert zu höchster Blüte entwickelt. Die Buchillustrationen machten auch vor dem Propheten Mohammed nicht Halt. Sein Gesicht wurde dabei je nach Epoche und Auftraggeber verschleiert oder als heller Fleck dargestellt, aber auch immer wieder voll ausgeführt.[25] In der osmanischen Kultur war die Buchillustration eine angesehene Kunst, und auch hier finden sich Mohammed-Darstellungen mit Gesicht.[26] (Eine schöne Sammlung islamischer Mohammed-Darstellungen findet sich im Mohammed Image Archive.)Gesicht

Schiitische Autoritäten vertreten das Bilderverbot weit weniger rigoros als sunnitische.[27] Im Iran sind Abbildungen von Märtyrern auch heute noch üblich. Riesige Wandgemälde glorifizieren zum einen Märtyrer, die im Krieg gegen den Irak gefallen sind, zum anderen sind Bilder von Khomeini und dem aktuellen geistlichen Führer allgegenwärtig. In keiner Teestube fehlen die an Jesusdarstellungen erinnernden Bildnisse von Hussain ibn Ali, der zentralen Figur des schiitischen Islam, der laut Überlieferung im Jahr 680 in der Schlacht von Kerbela den Truppen des Umayyaden Kalifen Yazid I. unterlag und getötet wurde. An dieses Ereignis erinnert das jährliche Aschura-Fest, bei dem auf öffentlichen Plätzen vor der Kulisse riesiger Schlachtengemälde die Passion Hussains erzählt wird.Hussain

Einigen Hadithen zufolge ist auch die Darstellung des Kreuzes verboten.[28] Auf diese beziehen sich strenge Auslegungen des Islam wie die wahabitische in Saudi Arabien. Das Kreuz gilt dem Wahabismus als „Symbol der Feinde des Islam“. Es darf daher weder als Schmuck, noch in sonst einer Form öffentlich gezeigt werden und ist auch in Flugzeugen der saudischen Fluglinie verboten.

Doch wie lange diese Auseinandersetzung um das Bilderverbot in den theologisch geschulten Kreisen des Islam auch noch andauert, und zu welchen Schlüssen die einzelnen Rechtsschulen auch immer gelangen: Gültigkeit kann ein solcher Richtspruch ohnehin nur für die Anhänger der jeweiligen Rechtsschule beanspruchen. Das Bilderverbot ist ein religiöses islamisches Gebot, das für Menschen außerhalb dieser Glaubenswelt keine Bedeutung hat.

Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer äußerte am Höhepunkt des Karikaturenstreits vor dem EU-Parlament folgende Meinung: „Wenn eine Religion ein Abbildungsverbot hat, dann soll und darf man dagegen nicht verstoßen.“[29] Auch wenn Fischer sich hier möglicherweise diplomatischen Kategorien der Höflichkeit verpflichtet fühlte, ist diese Aussage für den Präsidenten eines säkularen Rechtsstaates recht befremdlich und in ihren Konsequenzen wenig durchdacht, trägt er doch Verantwortung für die Werte der demokratischen Gesellschaft. Eine solche, von Politikern und mitunter auch von Künstlern und Intellektuellen vertretene Position, bezieht darüber hinaus Stellung auf Seiten der islamischen Orthodoxie und trägt dazu bei, moderatere Ansichten über das Bilderverbot ins Abseits zu stellen. Die Durchsetzung der radikalen Positionen in den letzten Jahrzehnten hat beispielsweise zur Folge, dass immer mehr Sammler und Museen, vor allem in der islamischen Welt, vor der Präsentation entsprechender Miniaturen zurückschrecken.

Würden alle Religionen den von vielen Muslimen für den Islam eingeforderten privilegierten Status auch für sich reklamieren, dürfte etwa niemand gegen ein Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch (Islam, Judentum) oder Rindfleisch (Hinduismus) verstoßen, nebst zahlreichen anderen religiösen Verboten und Geboten aller vorhandenen Religionen. Der bekannte amerikanische Jazzmusiker Yusef Abdul Lateef beispielsweise macht als praktizierender Muslim weltweit gegenüber Konzertveranstaltern ein Verbot des Alkoholausschanks zur Bedingung für seinen Auftritt. Es genügt ihm nicht, sich selbst an die Vorschriften seiner Religion zu halten, er möchte, dass auch das Publikum das islamische Alkoholverbot befolgt. Einige Clubs in Europa sind auf seine Forderungen aus Rücksicht auf seine religiösen Gefühle eingegangen. Hier stellt sich, nebenbei gesagt, die Frage, ob auch noch strengeren Auffassungen, wie beispielsweise der Forderung, dass Frauen dem Konzert nur hinter einem Vorhang stehend folgen dürfen, oder, im Sinne einer strikten Geschlechtertrennung, ganz ausgeschlossen bleiben, nachgegeben worden wäre. Hinter dem Versuch, die eigenen religiösen Gebote auch auf andere zu übertragen, verbirgt sich der Wunsch nach Vereinheitlichung, der Wunsch danach, andere Lebensweisen und Religionen aus dem Bereich der eigenen Wahrnehmung zu verbannen.

Wir leben in einem säkularen Staat, dessen Rechtssystem auf den Menschenrechten basiert und nicht auf „göttlichen“ Geboten und religiösen Grundsätzen. In der Demokratie kann jeder Mensch seinen Glaubensgrundsätzen im Rahmen bestehender Gesetze folgen. Jeder religiöse Mensch hat das Recht, sich an die Gebote und Verbote seiner Religion zu halten, aber auch, diese zu vernachlässigen. Jeder nicht religiöse Mensch hat das Recht, ein von religiösen Geboten und Verboten freies Leben zu führen.

Als im Januar 2008 in einer Unterschriftenaktion 90.000 Muslime in Großbritannien von der Internet-Enzyklopädie Wikipedia forderten, die bildlichen Darstellungen (islamische Miniaturen) aus dem Eintrag „Mohammed“ zu entfernen,[30] lehnte Wikipedia ab und stellte eine zusätzliche Variante online, auf der nach Anmeldung alle Einträge ohne Bilder aufgerufen werden können.[31] Die Unterschriftenaktion und die zunehmenden Beschwerden über bildliche Darstellungen können als Hinweis darauf gelesen werden, dass orthodoxe Ansichten immer größere Verbreitung finden, berufen sich ihre Protagonisten doch entgegen der Vielfältigkeit des kulturellen islamischen Erbes auf eine strenge Auslegungen des „Bilderverbots“, wenn sie behaupten, Bilder des Propheten Mohammed seien im Islam nicht erlaubt.

So, wie ein strenggläubiger Katholik den Restaurants seiner Umgebung nicht aufzwingen kann, an Freitagen nur Fisch statt Fleisch zu servieren, kann ein strenggläubiger Muslim weder Museen, Galerien, Verlagen noch anderen Menschen – Muslimen wie Nichtmuslimen – ein islamisches Bilderverbot aufzwingen. Religiöse Gebote und Verbote sind in demokratischen Gesellschaften an Freiwilligkeit gekoppelt. An das islamische Bilderverbot sind nur die gebunden, die sich ihm freiwillig unterwerfen. Sie werden in ihren Wohnungen und Moscheen auf Bilder verzichten und sind nicht gezwungen, sich Mohammed-Darstellungen in Museen für islamische Kunst anzusehen. Alle anderen aber haben das Recht, zu malen, zeichnen, bildhauern, anzusehen und auszustellen, was immer sie wollen – auch den Propheten Mohammed.

Literatur

Almir IBRIC, Islamisches Bilderverbot. Vom Mittel- bis ins Digitalzeitalter, Wien-München 2006

M.S. IPSIROGLU, Das Bild im Islam. Ein Verbot und seine Folgen, Wien-München 1971

Silvia NAEF, Bilder und Bilderverbot im Islam, München 2007

Rudi PARET, Textbelege zum islamischen Bilderverbot, in: Hans FEGERS (Hg.), Das Werk des Künstlers, Stuttgart 1960, S. 36-48passagen

 Anmerkungen

[1] Stern.de, 9. Februar 2006, „Grass nennt dänische Zeitung ‚rechtsradikal‘“: www.stern.de/politik/deutschland/mohammed-karikaturen-grass-nennt-daenische-zeitung-rechtsradikal-555284.html.
[2] Kenneth L. WOODWARD, In The Beginning, There Were The Holy Books, in: Newsweek, 2. Februar 2002, 55-61: www.newsweek.com/2002/02/10/in-the-beginning-there-were-the-holy-books.html.
[3] FAZ, 12. Februar 2002, 51.
[4] Lamya KADDOR, Rabeya MÜLLER(Hg.), Der Koran für Kinder und Erwachsene, München 2008.
[5] Till-R. STOLDT, Koran light – ohne Prügelvers und Jungfrauen, in: Die Welt, 14. April 2008: www.welt.de/politik/article1901094/Koran_light_ohne_Pruegelvers_und_Jungfrauen.html.

[6] Exemplarisch: www.ahlu-sunnah.com/threads/30437-Kinderkoran-von-Lamya-Kaddor!.
[7] Othmar KEEL, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 1, Göttingen 2007, 132.
[8] Jan ASSMANN, Ägyptische Hymnen und Gebete, Freiburg; Göttingen 1999, 242.
[9] KEEL, Geschichte, 383 f.
[10] Zitiert nach: Die Heilige Schrift, ins Deutsche übertragen von Naftali Herz TUR-SINAI, Stuttgart 1993.
[11] KEEL, Geschichte, 306, 382 f., 422-425.
[12] Rudi PARET, Textbelege zum islamischen Bilderverbot, in: Hans FEGERS (Hg.), Das Werk des Künstlers, Stuttgart 1960, 37.
[13] Rudi PARET, Die Entstehungszeit des Islamischen Bilderverbots, in: Josef von ESS (Hg.), Rudi Paret. Schriften zum Islam. Volksroman – Frauenfrage – Bilderverbot, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1981, 248f.
[14] PARET, Textbelege, 36.
[15] BUCHARI, Buyu 40,2, zitiert nach: PARET, Textbelege, 40.
[16] PARET, Textbelege, 40.
[17] Almir IBRIC, Islamisches Bilderverbot. Vom Mittel- bis ins Digitalzeitalter, Wien-Münster 2006, 57, 61; ESS, Paret, 244.
[18] IBRIC, Bilderverbot 61.
[19] Die Ahmadiyya wurden 1889 von Mirza Ghulam Ahmad in Indien gegründet. Ahmad sah sich selbst als neuen, Mohammed nachgeordneten Propheten und seine Aufgabe in der Verbreitung des „ursprünglichen“ Islam. Nach eigenen Angaben umfasst die Glaubensgemeinschaft heute ca. 12 Millionen Mitglieder in 132 Staaten. In den meisten islamischen Ländern sind sie verboten.
[20] www.ahmadiyya.de/islam/haeufige-fragen-faq-islam/verwehrtes-im-islam/1734-Was%20sagt%20der%20Islam%20zu%20einem%20Bilderverbot?.html.
[21] PARET, Textbelege, 46-48.
[22] ESS, Paret, 244.
[23] Silvia NAEF, Bilder und Bilderverbot im Islam, München 2007, S. 37; Abbildungen unter: http://home.fotocommunity.de/bakenhus/index.php?id=453436&d=15916283.
[24] Siehe die Forschungen im Kreis um Karl-Heinz Ohlig:  Karl-Heinz OHLIG, Gerd R. PUIN (Hg.), Die dunklen Anfänge, Berlin 2007; Karl-Heinz OHLIG (Hg.), Der frühe Islam, Berlin 2007; Karl-Heinz OHLIG, Markus GROSS (Hg.), Schlaglichter. Die beiden ersten islamischen Jahrhunderte, Berlin 2008; Barbara KÖSTER, Der missverstandene Koran. Warum der Islam neu begründet werden muss, Berlin; Tübingen 2010.
[25] Siehe den Wikipediabeitrag zu Mohammed: http://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed.
[26] http://en.wikipedia.org/wiki/File:Maome.jpg.
[27] ESS, Paret, 233.
[28] Hadith sahi bei BUCHARI, Nr. 5952, im Internet: www.islam-pedia.de/index.php5?title=Islamische_Kleidung oder: MUSLIM, The Book of Faith (Kitab Al-Iman), Chapter 72, Book 1, Nr. 287-289 & BUCHARI, Prophets, Volume 4, Book 55, Number 657, zitiert nach: www.muslim-markt.de/forum/messages/2711.htm.
[29] Zitiert nach: Die Presse, 19. Februar 2006, 2.
[30] Terra X, 17.5.2009: www.terra-x.zdf.de/ZDFde/inhalt/1/0,1872,7587617,00.html.
[31] FAZ, 26. März 2008, 38; http://en.wikipedia.org/wiki/Talk:Muhammad/FAQ.