Wieviel Scharia verträgt Europa?

Vortrag, gehalten auf dem 17. Wiener Kulturkongress am 6. Nov. 2012

In den letzten Jahren wurde von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben, Teile der Scharia in das Privat- bzw. Zivilrechtrecht europäischer Rechtssysteme aufzunehmen. Einige der größeren islamischen Verbände treten immer wieder mit dieser Vorstellung an die Öffentlichkeit – so etwa der Zentralrat der Muslime in Deutschland, um einen der bekanntesten zu nennen. Aber nicht nur Muslime können sich mit diesem Gedanken anfreunden. Zuletzt ließ der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) aufhorchen. Er will ergänzend zum deutschen Recht bei zivilen Streitigkeiten auch das Rechtssystem des Islams anwenden. Das größte Aufsehen erregte vermutlich der anglikanische Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, der im Februar 2008 vorschlug, Teile der Scharia-Gesetzgebung in die britische Zivilrechtssprechung aufzunehmen, weil sich „Teile der Gesellschaft nicht mit unseren Gesetzen identifizieren.“ Diese Begründung ist vor allem deshalb bedenklich, weil sie einer Kapitulationserklärung des Rechtsstaates gleichkommt. Im Oktober desselben Jahres meldete sich der bayrische FDP-Landtagsabgeordnete Georg Barfuß mit der Forderung zu Wort: „Wo die Scharia mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sollte sie erlaubt werden.“

Angesichts dieser Forderung stellt sich die Frage, inwieweit die Scharia mit europäischem Recht, mit europäischen Verfassungen und den Menschenrechten vereinbar ist. Ausgehend von dieser Fragestellung möchte ich die folgenden Überlegungen anstellen: Wieviel Scharia verträgt Europa? Weiterlesen

Mohammed-Schmähungen und Antisemitismus

Die Meinungsfreiheit wird immer wieder in Frage gestellt, wenn irgendwo auf der Welt extremistische Muslime gegen tatsächliche oder behauptete Schmähungen und Verspottungen ihrer Religion zum Mittel des gewaltsamen Protests greifen. Nach dem Mohammed-Video, das Extremisten pünktlich zum 11. September aus einem dunklen Eck des Internets geborgen hatten, tauchte in diversen Foren und auf Kommentarseiten ein neuer Vorwurf im Zusammenhang mit Kritik oder Spott gegenüber dem Islam auf: Gegen Muslime dürfe man im Namen der Meinungsfreiheit hetzen, während Antisemitismus verboten sei. Oder in abgewandelter Form: Antisemitismus sei verboten, aber Islamophobie müssten Muslime hinnehmen. Der Ministerpräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, verwies darauf, dass die Türkei den Antisemitismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt habe, während zur Islamophobie im Westen geradezu ermuntert werde.

Ist dieses Argument wirklich schlüssig? Und lassen sich ein Schmähfilm auf Mohammed (oder Karikaturen) und Antisemitismus vergleichen? Weiterlesen

Bald müssen wir nicht mehr sterben

Der „wichtigste gesundheitspolitische Kongress der EU“, das European Health Forum Gastein (EHFG), fand dieses Jahres vom 3. bis 6. Oktober unter dem Motto „Die Krise als Chance. Gesundheit in Zeiten der Sparpolitik“ statt. Am 5. Oktober überraschte das EHFG mit einer Pressemeldung, die prompt von diversen österreichischen Medien übernommen wurde. Darin heißt es, sogenannte Lebensstil-Erkrankungen (darunter fallen alle nicht übertragbaren Krankheiten wie etwa Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen…) machten in den 53 Ländern der WHO-Region Europa bereits jetzt „77 Prozent der Krankheitslast aus und sind Ursache für 86 Prozent aller Todesfälle.“

Daraus folgt, dass lediglich 14 Prozent der Menschen sterben, weil Menschen gemeinhin sterben – die restlichen 86 Prozent sind selbst dran schuld, ihr Tod wäre vermeidbar, würden sie nur ihren Lebensstil ändern, Weiterlesen

Blasphemiegesetze? Part II

In meinem ersten Beitrag zu  Blasphemiegesetzen vor sechs Wochen ging es mir vor allem um die Ungleichbehandlung von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen. War die Diskussion damals noch abstrakt, bekommt sie aktuell dadurch eine neue Dimension, dass Politiker über schärfere Gesetze zur Ahndung von Blasphemie diskutieren. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Singhammer, hält eine Zeit brennender Botschaften für geeignet, dem deutschen Bundestag ein neues, altes und verschärftes Blasphemiegesetz vorzulegen (Es wurde bereits im Jahr 2000 vorgelegt und abgelehnt). Ginge es nach ihm, sollte der Bezug auf den „öffentlichen Frieden“ aus dem § 166 StGB wieder gestrichen werden, wodurch fortan jede öffentliche Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses strafbar wäre. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, steht ihm nicht nach und fordert in einer Rede mit Blick auf den Mohammed-Film, der seit 2 Wochen die Welt beschäftigt, “dass diese Art von blasphemischen Filmen verurteilt werden muss.“ Beide schließen sich damit einer langjährigen Forderung der OIC (Organisation für islamische Zusammenarbeit) an, Weiterlesen

Das Individuum steht im Mittelpunkt

Der Blogger André Krause hat mit Nina Scholz und mir ein Interview zu unserem Buch “Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?” geführt, das er gestern auf seinem Blog “Union 21 – für ein freiheitliches deutschland. gegen extremisten jeglicher couleur.” veröffentlicht hat.

Es findet sich hier: http://blog.union21.de/?p=726

 

Buchempfehlung: Schwarzbuch Menschenrechte

“Schwarzbuch Menschenrechte” – das Buch der österreichischen Politikwissenschaftlerin und Journalistin Irene Brickner gibt einen kritischen Überblick über die Lage der Menschenrechte in Österreich.

In fünf Kapitel behandelt die Autorin Menschenrechtsverstöße auf verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft: Gesetze, die etwa das Recht auf Asyl einschränken; Gerichte, die die Verteidigung der Angeklagten behindern; Verwaltungsakte, die die Würde des/der Einzelnen in Frage stellen; nicht oder unzureichend vorhandener Schutz vor alltäglichen Diskriminierungen wie etwa bei der Arbeits – oder Wohnungssuche und vieles mehr.

Statt einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte beschreibt die Autorin die Missachtungen grundlegender Rechte und deren praktische Auswirkungen. Anhand exemplarisch geschilderter Schicksale werden diese Auswirkungen anschaulich Weiterlesen

Blasphemiegesetze?

Zuerst ließ der Schriftsteller Martin Mosebach in einem Beitrag in der Berliner Zeitung mit der Forderung nach strengeren Blasphemiegesetzen aufhorchen. Vor wenigen Tagen folgte ihm der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, mit der Aussage, ein Gesetz „gegen die Verspottung religiöser Werte und Gefühle“ sei nötig. (WAZ) Dem kann auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, etwas abgewinnen. Er plädiert zwar nicht für neue Gesetze, aber der grundgesetzlich garantierte Schutz der freien Religionsausübung solle „in der Rechtsprechung konsequent umgesetzt werden, derzeit vor allem gegen das aggressive, ja missionarische Vorgehen areligiöser Extremisten“, befand er. Religionen sollten wieder verstärkt vor veröffentlichter Religionskritik geschützt werden. Dieser Versuch, das Recht auf Religionsfreiheit gegenüber allen anderen Grundrechten zu erhöhen Weiterlesen

Solidarität mit dem iranischen Musiker Shahin Najafi!

Seit 2005 lebt der Musiker Shahin Najafi im Exil in Deutschland. Am 7. Mai 2012 veröffentlichte er seinen Song Naghi, in dem er den 10. Imam anruft und sich satirisch mit dem Regime im Iran auseinandersetzt. Er spricht darin soziale, politische und ökonomische Übel an, Korruption, politische Unterdrückung, den Schönheits- und Sexwahn. Großajatollah Scheich Lotfolah Safi Golpayegani bezichtigte ihn daraufhin der Blasphemie und der Beleidigung des 10. Imam und erlies eine mit einem Mordaufruf verbundene Fatwa gegen Najafi. Das ist nach der Todesfatwa gegen Salman Rushdie im Jahr 1989 neuerlich ein Mordaufruf eines Vertreters des iranischen Regimes gegen einen Bürger eines europäischen Landes. Bislang waren die Reaktionen europäischer Regierungen auf diese Anmaßung äußerst verhalten.

Daher hat Günter Wallraff gemeinsam mit dem Grafiker Klaus Staek und dem Komponisten Manos Tsangaris jetzt einen Solidaritätsaufruf zum Schutz Shahin Najafis gestartet, der an dieser Stelle gemeinsam mit der Liste der 50 ErstunterzeichnerInnen dokumentiert werden soll. Die Unterzeichnung des Aufrufs ist mit einer E-Mail oder einem unterschriebenen Fax an die Adressen huber@adk.de / Fax: (030) 20057 1525  oder guenter.wallraff@koeln.de / Fax: (0221) 952 1526 möglich.

Und hier der Wortlaut des Solidaritätsaufrufs und die Liste der Erstunterzeichner:

15. Juni 2012

Solidarität mit Shahin Najafi

Der iranische Musiker Shahin Najafi, der seit 2005 im Exil in Deutschland lebt, wird mit dem Tode bedroht, weil er in einem Lied den im Jahr 869 verstorbenen zehnten Imam anruft, auf die Erde zurückzukehren. Sein Text übt mit Satire Kritik an dem diktatorischen Regime. Iranische Großayatollahs erklärten ihn zum Ketzer, der den Tod verdiene. Auf Shahin Najafi wurde ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt. Wir haben Respekt vor dem Mut von Shahin Najafi, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich weiterhin künstlerisch einzumischen. Denn Kunst muss frei sein. Kunst muss sich entfalten können und provozieren dürfen. Die Freiheit der Kunst ist ein universelles Menschenrecht. Todesdrohungen gegen Künstler und Andersdenkende sind der Tod dieser Freiheit.

Wir solidarisieren uns mit Shahin Najafi und fordern Öffentlichkeit und Politiker dazu auf, unseren Kollegen in jeder Form zu unterstützen und sich für seine Sicherheit einzusetzen.

Frank-Markus Barwasser • Sibylle Berg • Horst Bosetzky • Volker Braun • Fred Breinersdorfer • Campino • Frank Castorf • Pepe Danquart • Friedrich Christian Delius • Doris Dörrie • Andreas Dresen • Egotronic • Valie Export • Harun Farocki • Jürgen Flimm • Hans W. Geißendörfer • Jochen Gerz • Günter Grass • Hans Haacke • Nele Hertling • Klaus Hoffmann • Elfriede Jelinek • Necla Kelek • Navid Kermani • Barbara Klemm • Kirsten Klöckner • Wolfgang Kohlhaase • Uwe Kolbe • Sebastian Krumbiegel • Helmut Lachenmann • Jaki Liebezeit • Jan Josef Liefers • Udo Lindenberg • Frank Lüdecke • Terézia Mora • Björn Peng • Moritz Rinke • Robert Schindel • Volker Schlöndorff • Gerhard Schmidt • Ingo Schulze • Bertold Seliger • Smudo • Mathias Spahlinger • Tilman Spengler • Klaus Staeck • Gerhard Steidl • Johano Strasser • Uwe Timm • Frederik „Torch“ Hahn • Rosemarie Trockel • Manos Tsangaris • Andres Veiel • Nike Wagner • Günter Wallraff • Hannes Wader • Konstantin Wecker • Marius Müller-Westernhagen

Shahin Najafis Song

 

Ägyptische Männer gegen sexuelle Belästigung

Ein bemerkenswertes Video macht derzeit auf Youtube und anderen Webseiten die Runde. Eine Gruppe ägyptischer Männer ruft ihre Geschlechtsgenossen dazu auf, sexuelle Belästigungen von Frauen zu unterlassen. Diese stellt in Ägypten ein großes Problem dar und hat vor allem in den letzten Jahren stark zugenommen. Sie betrifft nahezu alle Frauen, unabhängig davon, ob sie sich “westlich” kleiden oder verschleiert auf der Straße bewegen. Laut dem Video wurden 83% der Ägypterinnen und 98% der Ausländerinnen in Ägypten in der Öffentlichkeit sexuell belästigt. Die Hälfte dieser Frauen wird täglich belästigt.

Mit Sätzen wie: “Es ist egal wie sie gekleidet ist und wie sie geht. Was Du tust ist falsch!”, “Das ist kein Spaß”, “Du kannst das nicht machen. Es ist peinlich und ich kann nirgends mit Dir zusammen hingehen.”, “Was Du sagst, ist kein Kompliment. Es ist eine Belästigung.”, und vielen weiteren machen junge Männer darauf aufmerksam, dass das Belästigen von Frauen auf den Straßen nicht cool, sondern abstoßend ist und sofort beendet werden muss.


Ägypten-Video      

Die starke Verbreitung sexueller Belästigung in Ägypten ist sicher auch eine Folge der nach wie vor weitgehenden Trennung der Geschlechter. Während sexuelle Kontakte außerhalb der Ehe verpönt, bzw. aus religiösen Gründen verboten sind (dazu gehören bereits so harmlose Handlungen wie Händchen halten), setzen sich die Islamisten für eine Herabsetzung des Heiratsalters für Mädchen auf 14 Jahre ein. Unter diesen Voraussetzungen ist es sowohl für Männer als auch für Frauen kaum möglich, einen normalen Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht zu erlernen, jede Begegnung ist von vornherein sexualisiert.

Nachhaltigkeit und „Generationengerechtigkeit“

Seit Beginn der 1980er Jahre hat der Begriff der Nachhaltigkeit eine erstaunliche Karriere absolviert: Ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend, meinte der Begriff zunächst, dass stets nur so viele Bäume geschlagen werden sollten, wie auch nachwachsen können, um den Fortbestand der forstwirtschaftlichen Nutzung zu gewährleisten. In großen Schritten entwickelte er sich gegen Ende des letzten Jahrhunderts zu einem Kampfbegriff der politischen Diskussion, auf den heute kaum eine Partei, und kaum ein Konzern verzichten will und kann. Damit einher ging allerdings eine Verschiebung der Bedeutung: Die mittelfristige Zukunft, die in der Forstwirtschaft Ziel der nachhaltigen Nutzung von Wäldern war, wurde auf künftige Generationen ausgedehnt.

In seinem 1979 erschienen Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung argumentierte der Philosoph Hans Jonas, dass die Menschen Verantwortung für die Zukunft zu tragen hätten, weil die modernen technischen Möglichkeiten sie zu weitreichenden Zerstörungen befähigten. In diesem Sinne definierte der sogenannte Brundtland-Bericht Our Common Future der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung Weiterlesen